Kassel
wird kleiner
Meine ersten Testläufe waren noch sehr zaghaft, ich hatte
ja auch noch so viel Zeit. Mal eben zwischendurch eine Runde von Kassel
Wehlheiden über den Friedhof und dann
vorbei am Gefängnis und hinein in den Schönfelder Park.
Eigentlich verlässt man schon mit dem Betreten des
Friedhofs die Stadt Kassel. Es geht fast schlagartig von Verkehrslärm über in
eine auch optische Ruhe, die einzigen Geräusche sind eigentlich nur noch meine
Schritte und das Klackern meiner Stöcke. Manchmal denke ich, ich müsste sie
etwas leiser aufsetzen, weil ich doch niemanden wecken will. Aber bisher hat
sich noch niemand beschwert. Die Friedhofsgärtner bewegen sich ja auch
motorisiert über die ganzen Wege, und sonstige Anwesende haben auch noch nichts
gesagt.
Friedhof ist für mich eine ganz neue Landschaftsform
geworden, eigentlich schon mit etwas mehr Komfort wie anderen Orts, weil es
dort nicht nur fließendes Wasser an etlichen Zapfstellen gibt, sondern auch
Toiletten, die zur freien Nutzung einladen.
Früher habe ich jeden Friedhof so gut wie nur möglich
gemieden. Das war kein Ort für mich, der hat mir nur genommen. Als ich noch
klein war, meine Oma, die ein herzensguter Mensch war und mit uns Kindern
Topfschlagen und andere Dinge mit sehr hoher Lautstärke veranstaltet hat. Mir
hatte sie mal eine Blechdose, einen Hammer und Nägel bereitgelegt. Ich konnte
noch nicht laufen, aber Nägel reinhämmern klappte nach kurzer Zeit. Und als ich
jung war, gerade mal 13, hat er mir meinen Vater genommen, mit dem ich noch
soviel vorhatte. Ich bin da dann nie mehr gerne hingegangen und meine, es hat
gute15 Jahre gedauert, bis ich zum ersten mal aus eigenem Antrieb wieder
hingegangen bin. Als ich jedoch das Grab entdeckt habe, hat es mich nur wieder
traurig gemacht.
Und wenn ich heute von neuer Landschaftsform spreche,
dann meine ich damit zentral gelegene Ruhezonen für Mensch und Tier. Hier läuft
das Eichhörnchen noch bedenkenlos über die Wege, kann man dem Specht bei seiner
Arbeit zusehen und ihn nicht nur geräuschvoll wahrnehmen. Der Ruf des Kuckucks
hallt über das ganze Gelände und man glaubt, an beinahe jedem Laubblatt eine
Amsel zu sehen, die dort nach Futter sucht. Und hier gehe ich sogar bewusst zu
Gräbern, die ich mit einer Beerdigung in Zusammenhang bringen kann. Von anderen
Gräbern kenne ich mitlerweile die Namen der dort Beerdigten. Vielleicht gehe ich
auch bewusster damit um, kommen doch so einige Geburtsdaten immer näher an
meines heran. Nur habe ich dafür jetzt noch keine Zeit.
Eine weitere Station macht mich aber noch nachdenklicher.
Ich komme an einer großen Betonkiste vorbei, umgeben von einer hohen Mauer, die
zusätzlich mit S-Draht-Rollen, also militärischer Stacheldraht, gesichert ist.
Dazu an jeder möglichen Ecke noch einen alles überragenden Turm mit einem
rundum verfenstertem Obergeschoß und darüber noch große Scheinwerfer. Also
alles komplett überwacht und im Vorbeigehen kann man die Wärter in diesen
Türmen auch sehen.
Ok, jetzt kann jeder sagen, dass die da drin mit
Sicherheit selber dran Schuld sind, einerseits weil sie etwas verbrochen haben
und andererseits weil es auch welche geben muss, die auf sie aufpassen. Das ist
ja auch in Ordnung so, aber jedes Mal wenn ich daran entlang gehe, muss ich über
die Leute nachdenken. Die können nicht einfach für den Jakobsweg trainieren,
wenn sie denn überhaupt darüber nachdenken, ihn denn gehen zu wollen, die
kommen da erst nach einer bestimmten Zeit wieder raus.
Doch danach geht es mitten in der Stadt wieder hinein in
die Natur pur. Es ist ein sehr schön angelegter Park mit einem kleinen Bachlauf,
der auf seinem Weg mehrere Weiher speist. Eine Grünanlage, die sehr
naturbelassen angelegt wurde und auch so von der Natur in vollem Umfang
angenommen wird. Es stört den Fischreiher fast nicht, wenn man sich bis auf
wenige Meter nähert, Enten und Graugänse schauen erst einmal, ob es etwas zu
futtern gibt und ergreifen erst die Flucht, wenn man ihnen zu nahe kommt, dann
aber auch meist nur für wenige Meter. Selbst die Menschen, die dort ihre Ruhe
oder ihren körperlichen Ausgleich durch Sport suchen, nehmen kaum Notiz
voneinander. Außer einem schwachen Hallo kommt da meist nichts.
Und dann gibt es da noch etwas, Kassel kann auch nicht
verbergen, dass sie documenta-Stadt ist und beinahe überall im Stadtgebiet
Kunst residiert. Es gibt dort einen künstlichen Klangpfad. Das sind
verschiedene Skulpturen, teils aus Holz, aus Gestein, sogar aus massivem aufrecht
gestelltem Granit, der tiefe Einschnitte durch eine Säge hat und die daran
befestigten Klöppel, mit denen den verschiedenen Klangkörpern verschiedene Töne
entlockt werden können. Damit wird auch bei älteren Leuten die Kindheit geweckt
und ich kann mir schon vorstellen, dass da jeder schon mal einen Klöppel in der
Hand hatte.
Diesen Weg von mir zu hause aus komplett bis zur den Park
begrenzenden Hauptstraße und wieder zurück sind immerhin etwa 8 Kilometer,
reichen aber irgendwann nicht mehr aus.
Doch wer Kassel auch nur annähernd kennt, weiß auch, dass
es da noch mehrere Erweiterungsmöglichkeiten gibt. Nicht weit vom Ende des
Schönfelder Parks beginnt auch gleich wieder die Karls Aue mit weiteren vielen
Möglichkeiten, sich auf einen langen Weg vorzubereiten. Ob man da nun in Höhe
des Weinberg wieder rausgeht oder in Höhe der Orangerie liegt an jedem selber.
Es sind dort eigentlich mitten in einer Stadt Strecken von bis zu 25 Kilometer
möglich, die man gefahrlos zu Fuß durchwandern kann.
An mangelnden Trainingsmöglichkeiten kann es also bei mir
nicht liegen, aber ich möchte ja auch mal etwas weiter raus und so stehen mir
noch der Kaufunger Wald, die Söhre aber auch der Habichtswald mit dem Bergpark
Wilhelmhöhe zu weiteren Trainingseinheiten zur Verfügung. Ich möchte ja auch
bald die ersten Strecken mit meinem gepackten Pilgerwagen gehen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen