Sonntag, 18. Januar 2015

06. Kassel wird kleiner



Kassel wird kleiner

Meine ersten Testläufe waren noch sehr zaghaft, ich hatte ja auch noch so viel Zeit. Mal eben zwischendurch eine Runde von Kassel Wehlheiden über den Friedhof  und dann vorbei am Gefängnis und hinein in den Schönfelder Park.

Eigentlich verlässt man schon mit dem Betreten des Friedhofs die Stadt Kassel. Es geht fast schlagartig von Verkehrslärm über in eine auch optische Ruhe, die einzigen Geräusche sind eigentlich nur noch meine Schritte und das Klackern meiner Stöcke. Manchmal denke ich, ich müsste sie etwas leiser aufsetzen, weil ich doch niemanden wecken will. Aber bisher hat sich noch niemand beschwert. Die Friedhofsgärtner bewegen sich ja auch motorisiert über die ganzen Wege, und sonstige Anwesende haben auch noch nichts gesagt. 

Friedhof ist für mich eine ganz neue Landschaftsform geworden, eigentlich schon mit etwas mehr Komfort wie anderen Orts, weil es dort nicht nur fließendes Wasser an etlichen Zapfstellen gibt, sondern auch Toiletten, die zur freien Nutzung einladen.

Früher habe ich jeden Friedhof so gut wie nur möglich gemieden. Das war kein Ort für mich, der hat mir nur genommen. Als ich noch klein war, meine Oma, die ein herzensguter Mensch war und mit uns Kindern Topfschlagen und andere Dinge mit sehr hoher Lautstärke veranstaltet hat. Mir hatte sie mal eine Blechdose, einen Hammer und Nägel bereitgelegt. Ich konnte noch nicht laufen, aber Nägel reinhämmern klappte nach kurzer Zeit. Und als ich jung war, gerade mal 13, hat er mir meinen Vater genommen, mit dem ich noch soviel vorhatte. Ich bin da dann nie mehr gerne hingegangen und meine, es hat gute15 Jahre gedauert, bis ich zum ersten mal aus eigenem Antrieb wieder hingegangen bin. Als ich jedoch das Grab entdeckt habe, hat es mich nur wieder traurig gemacht.

Und wenn ich heute von neuer Landschaftsform spreche, dann meine ich damit zentral gelegene Ruhezonen für Mensch und Tier. Hier läuft das Eichhörnchen noch bedenkenlos über die Wege, kann man dem Specht bei seiner Arbeit zusehen und ihn nicht nur geräuschvoll wahrnehmen. Der Ruf des Kuckucks hallt über das ganze Gelände und man glaubt, an beinahe jedem Laubblatt eine Amsel zu sehen, die dort nach Futter sucht. Und hier gehe ich sogar bewusst zu Gräbern, die ich mit einer Beerdigung in Zusammenhang bringen kann. Von anderen Gräbern kenne ich mitlerweile die Namen der dort Beerdigten. Vielleicht gehe ich auch bewusster damit um, kommen doch so einige Geburtsdaten immer näher an meines heran. Nur habe ich dafür jetzt noch keine Zeit.

Eine weitere Station macht mich aber noch nachdenklicher. Ich komme an einer großen Betonkiste vorbei, umgeben von einer hohen Mauer, die zusätzlich mit S-Draht-Rollen, also militärischer Stacheldraht, gesichert ist. Dazu an jeder möglichen Ecke noch einen alles überragenden Turm mit einem rundum verfenstertem Obergeschoß und darüber noch große Scheinwerfer. Also alles komplett überwacht und im Vorbeigehen kann man die Wärter in diesen Türmen auch sehen.

Ok, jetzt kann jeder sagen, dass die da drin mit Sicherheit selber dran Schuld sind, einerseits weil sie etwas verbrochen haben und andererseits weil es auch welche geben muss, die auf sie aufpassen. Das ist ja auch in Ordnung so, aber jedes Mal wenn ich daran entlang gehe, muss ich über die Leute nachdenken. Die können nicht einfach für den Jakobsweg trainieren, wenn sie denn überhaupt darüber nachdenken, ihn denn gehen zu wollen, die kommen da erst nach einer bestimmten Zeit wieder raus.

Doch danach geht es mitten in der Stadt wieder hinein in die Natur pur. Es ist ein sehr schön angelegter Park mit einem kleinen Bachlauf, der auf seinem Weg mehrere Weiher speist. Eine Grünanlage, die sehr naturbelassen angelegt wurde und auch so von der Natur in vollem Umfang angenommen wird. Es stört den Fischreiher fast nicht, wenn man sich bis auf wenige Meter nähert, Enten und Graugänse schauen erst einmal, ob es etwas zu futtern gibt und ergreifen erst die Flucht, wenn man ihnen zu nahe kommt, dann aber auch meist nur für wenige Meter. Selbst die Menschen, die dort ihre Ruhe oder ihren körperlichen Ausgleich durch Sport suchen, nehmen kaum Notiz voneinander. Außer einem schwachen Hallo kommt da meist nichts. 

Und dann gibt es da noch etwas, Kassel kann auch nicht verbergen, dass sie documenta-Stadt ist und beinahe überall im Stadtgebiet Kunst residiert. Es gibt dort einen künstlichen Klangpfad. Das sind verschiedene Skulpturen, teils aus Holz, aus Gestein, sogar aus massivem aufrecht gestelltem Granit, der tiefe Einschnitte durch eine Säge hat und die daran befestigten Klöppel, mit denen den verschiedenen Klangkörpern verschiedene Töne entlockt werden können. Damit wird auch bei älteren Leuten die Kindheit geweckt und ich kann mir schon vorstellen, dass da jeder schon mal einen Klöppel in der Hand hatte.

Diesen Weg von mir zu hause aus komplett bis zur den Park begrenzenden Hauptstraße und wieder zurück sind immerhin etwa 8 Kilometer, reichen aber irgendwann nicht mehr aus.

Doch wer Kassel auch nur annähernd kennt, weiß auch, dass es da noch mehrere Erweiterungsmöglichkeiten gibt. Nicht weit vom Ende des Schönfelder Parks beginnt auch gleich wieder die Karls Aue mit weiteren vielen Möglichkeiten, sich auf einen langen Weg vorzubereiten. Ob man da nun in Höhe des Weinberg wieder rausgeht oder in Höhe der Orangerie liegt an jedem selber. Es sind dort eigentlich mitten in einer Stadt Strecken von bis zu 25 Kilometer möglich, die man gefahrlos zu Fuß durchwandern kann.

An mangelnden Trainingsmöglichkeiten kann es also bei mir nicht liegen, aber ich möchte ja auch mal etwas weiter raus und so stehen mir noch der Kaufunger Wald, die Söhre aber auch der Habichtswald mit dem Bergpark Wilhelmhöhe zu weiteren Trainingseinheiten zur Verfügung. Ich möchte ja auch bald die ersten Strecken mit meinem gepackten Pilgerwagen gehen.

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