Wenn
Du gehen willst….
Es ist Anfang Dezember und es sind nicht einmal mehr vier
Monate.
Anfang voriger Woche kamen zwei ersehnte Bescheide, der
erste war der Rentenbescheid, der besagt, dass ich ab dem 01.12.2014
hochoffiziell und nach 65 Jahren und drei Monaten zu den Jubilados gehöre, wie
sie der Spanier ehrenvoll nennt. Ich gebe ihnen recht, Rentner hört sich
irgendwie so fürchterlich alt und auch grausam an.
Und Rentner gehören zu hause auf die Couch, naja
vielleicht noch in den Garten, aber nur zum Rosen pflegen, nicht für die
schwere körperliche Variante der Gartenarbeit, das geht doch nicht mehr.
Achja, und der zweite Bescheid kam vom Arbeitsamt, die
haben mir mitgeteilt, dass sie die Zusammenarbeit mit mir quasi einseitig
beendet haben, aufgehoben sozusagen.
Jetzt bin ich da, wo ich glaubte, niemals anzukommen. Im
Alter von 13 Jahren, als mein Vater in sehr jungen Jahren gezeichnet von den
vielen schlimmen Folgen von kriegerischer Körperverletzung ging, hatte es sich
in meinem Kopf festgesetzt: Werde ich jemals älter als mein Vater? Am Herzen
hatte er es ja auch noch, aber bei geplanten Operationen kam immer irgendetwas
dazwischen, was diese OP’s dann platzen ließen. Irgendwann kam dann alles
zusammen und er ging, obwohl er gekämpft hatte, so gut er es eben konnte, aber
viel zu früh.
Und heute? Ich bin zwanzig Jahre älter, wie er geworden
ist und wenn ich darüber nachdenke, dann hätte ich es ihm auch gewünscht.
Nur komme ich nicht zur Ruhe und habe mir in den Kopf
gesetzt, mein Rentnerdasein etwas anders zu beginnen. Von vielen habe ich in
verschiedenen Foren gelesen: sie wollten auch gehen, sobald sie die Zeit dazu
hätten, nur nennen die wenigsten die Beweggründe, warum sie nun doch keine Zeit
haben. Vielleicht war da auch nur der Wunsch der Vater der Gedanken und nun
stellen sie fest, daß es eben nur Wünsche waren.
Altersmäßig sehe ich da im Moment vor allem für mich noch
keine Probleme, natürlich habe ich meine Zipperlein, aber damit lebe ich ja
auch schon seit ein paar Tagen, und ich suche Lösungen. Nicht seit gestern,
nein, mein Weg beschäftigt mich schon länger.
Wie lange, kann ich garnicht genau sagen, aber ich weiß,
daß ich seit einem guten Jahr dabei bin, mich sehr intensiv darauf
vorzubereiten. Beinahe täglich suche ich im Internet nach Informationen, trage
sie zusammen, finde Filme, die von Pilgern über sich selber oder für andere
Pilger gedreht wurden.
Unzählige Fotos habe ich gesehen, eines schöner und
interessanter als das vorherige, und mit jeder neuen Information wächst die
Neugier, die Neugier auf den eigenen Weg, meinen Weg.
Und ich habe persönliche
Kontakte gesucht, Kontakte zu Leuten, nein zu Pilgern, die bereits erste oder
auch weitere Pilgererfahrung haben und irgendwie fühlte ich mich immer wie in
Watte gehüllt, wenn die eine oder andere Episode von unterwegs erzählt wurde.
Da war ich dann schon wieder mittendrin.
Ich kenne die Gegenden, die Landschaften, die Straßen,
die parallel zu dem einen oder anderen Pilgerweg führen, ich habe sie laufen
sehen, schon vor Jahren, wenig in Deutschland aber doch schon häufiger in
Frankreich und natürlich sehr viele in Spanien, wenn ich mal wieder mit meinem
Truck dort unterwegs war.
Ich habe sie alle schon zigmal durchfahren, sei es
die Mosel rauf von Metz aus, die Champagne bei Reims, die Felder und Wälder von
Dijon aus in Richtung Auxerre oder runter nach Bourges, ebenso die langen
Geraden entlang der Autobahn vom Bordeaux in Richtung Irun, raus aus dem
Baskenland in die braune „Wüste“ in Richtung Burgos.
Aber ich habe alles aus
den Fenstern eines schweren LKW gesehen, mit dem ich überall unterwegs war.
Manchmal wurde zurück gewunken, wenn ich mit meinen Lufthörnern gebrummt habe.
Ich habe sie nicht beneidet, denen ich meinen Gruß geschickt habe, ich habe sie
bewundert, wie sie mit ihrem geschulterten Gepäck und oft auch einem Stock
ihres Weges schritten. Meine Ziele standen gnadenlos auf dem nächsten
Lieferschein, ohne dass ich eine Wahl hatte. Ich war der Sklave meines Trucks
und sie gingen frei und freiwillig ihren Weg. Doch, ich war auch neidisch!
Inzwischen bin ich mir wohl auch bewusst geworden, daß
ich mich nicht zu 100 % an die niedergeschriebenen und somit auch markierten
Routen halten werde. Ich habe den Film „Mein Weg“ gesehen und meinen Weg zu
Meinem Weg gemacht. Ich will jetzt nicht vorgreifen und auf Einzelheiten
eingehen, weil in Meinem Weg Änderungen keine Ausnahme sein werden sondern eher
die Regel.
Aber die groben Schnittpunkte stehen fest: Kassel –
Marburg – Trier – Schengen – Metz – Vezeley – Limoges – Mont-de-Marsan – Irun –
Bilbao – Gijon – Ribadeo – Santiago de Compostella – Finesterre gesamt ca. 2700
km, zu Fuß und dafür nehme ich mir fünf Monate Zeit.
Es sind jetzt noch vier Monate bis zu meinem Start, werde
aber jetzt schon nachts wach und war in meinen Träumen bereits wieder unterwegs.
Mit
meinem Französischkurs bin ich weit hintendran und hoffe, noch einige Vokabeln
in meinem Kopf platzieren zu können, an Spanisch habe ich noch garnicht denken
können. Wahrscheinlich gehe ich da einfach auch zu lasch heran, weil ich doch
während meiner Truckerzeit auch immer dahin gekommen bin, wo ich hinwollte. Und
ich hatte nicht schon seit ewigen Zeiten ein Navi. Es gab da nämlich mal eine
Zeit, da ging das auch ohne, und es ging auch.
In mir baut sich schon lange Ungeduld auf und doch weiß
ich, daß ich diese Zeit noch brauche, ich bin noch nicht marschbereit und das
Wetter läßt mich eh nicht gehen, nicht vor April. Ich weiß, selbst April kann
noch sehr früh sein, auch zu früh. Aber das sehe ich als den frühesten
Zeitpunkt an, witterungsbedingt vernünftig durchzukommen.
Die Zeit bis dahin werde ich noch nutzen, ich will an
meinem Pilgerwagen noch Bremsen anbringen, damit ich ihn bergab auch vor mir
herlaufen lassen kann und einen Ständer muß ich auch noch anbringen, damit ich
die gesamte Wagenfläche auch als Tisch nutzen kann. Und wenn es im Februar oder
März ein paar schöne Tage geben sollte, möchte ich auch nochmal Probe gehen,
mit komplettem Gepäck. Die Gegend rund um Kassel ist ideal dafür.
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