Donnerstag, 4. Dezember 2014

04. Wenn Du gehen willst....




Wenn Du gehen willst….

Es ist Anfang Dezember und es sind nicht einmal mehr vier Monate.

Anfang voriger Woche kamen zwei ersehnte Bescheide, der erste war der Rentenbescheid, der besagt, dass ich ab dem 01.12.2014 hochoffiziell und nach 65 Jahren und drei Monaten zu den Jubilados gehöre, wie sie der Spanier ehrenvoll nennt. Ich gebe ihnen recht, Rentner hört sich irgendwie so fürchterlich alt und auch grausam an.

Und Rentner gehören zu hause auf die Couch, naja vielleicht noch in den Garten, aber nur zum Rosen pflegen, nicht für die schwere körperliche Variante der Gartenarbeit, das geht doch nicht mehr.

Achja, und der zweite Bescheid kam vom Arbeitsamt, die haben mir mitgeteilt, dass sie die Zusammenarbeit mit mir quasi einseitig beendet haben, aufgehoben sozusagen.

Jetzt bin ich da, wo ich glaubte, niemals anzukommen. Im Alter von 13 Jahren, als mein Vater in sehr jungen Jahren gezeichnet von den vielen schlimmen Folgen von kriegerischer Körperverletzung ging, hatte es sich in meinem Kopf festgesetzt: Werde ich jemals älter als mein Vater? Am Herzen hatte er es ja auch noch, aber bei geplanten Operationen kam immer irgendetwas dazwischen, was diese OP’s dann platzen ließen. Irgendwann kam dann alles zusammen und er ging, obwohl er gekämpft hatte, so gut er es eben konnte, aber viel zu früh.

Und heute? Ich bin zwanzig Jahre älter, wie er geworden ist und wenn ich darüber nachdenke, dann hätte ich es ihm auch gewünscht.

Nur komme ich nicht zur Ruhe und habe mir in den Kopf gesetzt, mein Rentnerdasein etwas anders zu beginnen. Von vielen habe ich in verschiedenen Foren gelesen: sie wollten auch gehen, sobald sie die Zeit dazu hätten, nur nennen die wenigsten die Beweggründe, warum sie nun doch keine Zeit haben. Vielleicht war da auch nur der Wunsch der Vater der Gedanken und nun stellen sie fest, daß es eben nur Wünsche waren.

Altersmäßig sehe ich da im Moment vor allem für mich noch keine Probleme, natürlich habe ich meine Zipperlein, aber damit lebe ich ja auch schon seit ein paar Tagen, und ich suche Lösungen. Nicht seit gestern, nein, mein Weg beschäftigt mich schon länger.

Wie lange, kann ich garnicht genau sagen, aber ich weiß, daß ich seit einem guten Jahr dabei bin, mich sehr intensiv darauf vorzubereiten. Beinahe täglich suche ich im Internet nach Informationen, trage sie zusammen, finde Filme, die von Pilgern über sich selber oder für andere Pilger gedreht wurden. 

Unzählige Fotos habe ich gesehen, eines schöner und interessanter als das vorherige, und mit jeder neuen Information wächst die Neugier, die Neugier auf den eigenen Weg, meinen Weg. 

Und ich habe persönliche Kontakte gesucht, Kontakte zu Leuten, nein zu Pilgern, die bereits erste oder auch weitere Pilgererfahrung haben und irgendwie fühlte ich mich immer wie in Watte gehüllt, wenn die eine oder andere Episode von unterwegs erzählt wurde. Da war ich dann schon wieder mittendrin.

Ich kenne die Gegenden, die Landschaften, die Straßen, die parallel zu dem einen oder anderen Pilgerweg führen, ich habe sie laufen sehen, schon vor Jahren, wenig in Deutschland aber doch schon häufiger in Frankreich und natürlich sehr viele in Spanien, wenn ich mal wieder mit meinem Truck dort unterwegs war. 

Ich habe sie alle schon zigmal durchfahren, sei es die Mosel rauf von Metz aus, die Champagne bei Reims, die Felder und Wälder von Dijon aus in Richtung Auxerre oder runter nach Bourges, ebenso die langen Geraden entlang der Autobahn vom Bordeaux in Richtung Irun, raus aus dem Baskenland in die braune „Wüste“ in Richtung Burgos. 

Aber ich habe alles aus den Fenstern eines schweren LKW gesehen, mit dem ich überall unterwegs war. Manchmal wurde zurück gewunken, wenn ich mit meinen Lufthörnern gebrummt habe. Ich habe sie nicht beneidet, denen ich meinen Gruß geschickt habe, ich habe sie bewundert, wie sie mit ihrem geschulterten Gepäck und oft auch einem Stock ihres Weges schritten. Meine Ziele standen gnadenlos auf dem nächsten Lieferschein, ohne dass ich eine Wahl hatte. Ich war der Sklave meines Trucks und sie gingen frei und freiwillig ihren Weg. Doch, ich war auch neidisch!

Inzwischen bin ich mir wohl auch bewusst geworden, daß ich mich nicht zu 100 % an die niedergeschriebenen und somit auch markierten Routen halten werde. Ich habe den Film „Mein Weg“ gesehen und meinen Weg zu Meinem Weg gemacht. Ich will jetzt nicht vorgreifen und auf Einzelheiten eingehen, weil in Meinem Weg Änderungen keine Ausnahme sein werden sondern eher die Regel. 

Aber die groben Schnittpunkte stehen fest: Kassel – Marburg – Trier – Schengen – Metz – Vezeley – Limoges – Mont-de-Marsan – Irun – Bilbao – Gijon – Ribadeo – Santiago de Compostella – Finesterre gesamt ca. 2700 km, zu Fuß und dafür nehme ich mir fünf Monate Zeit.

Es sind jetzt noch vier Monate bis zu meinem Start, werde aber jetzt schon nachts wach und war in meinen Träumen bereits wieder unterwegs. 

Mit meinem Französischkurs bin ich weit hintendran und hoffe, noch einige Vokabeln in meinem Kopf platzieren zu können, an Spanisch habe ich noch garnicht denken können. Wahrscheinlich gehe ich da einfach auch zu lasch heran, weil ich doch während meiner Truckerzeit auch immer dahin gekommen bin, wo ich hinwollte. Und ich hatte nicht schon seit ewigen Zeiten ein Navi. Es gab da nämlich mal eine Zeit, da ging das auch ohne, und es ging auch.

In mir baut sich schon lange Ungeduld auf und doch weiß ich, daß ich diese Zeit noch brauche, ich bin noch nicht marschbereit und das Wetter läßt mich eh nicht gehen, nicht vor April. Ich weiß, selbst April kann noch sehr früh sein, auch zu früh. Aber das sehe ich als den frühesten Zeitpunkt an, witterungsbedingt vernünftig durchzukommen. 

Die Zeit bis dahin werde ich noch nutzen, ich will an meinem Pilgerwagen noch Bremsen anbringen, damit ich ihn bergab auch vor mir herlaufen lassen kann und einen Ständer muß ich auch noch anbringen, damit ich die gesamte Wagenfläche auch als Tisch nutzen kann. Und wenn es im Februar oder März ein paar schöne Tage geben sollte, möchte ich auch nochmal Probe gehen, mit komplettem Gepäck. Die Gegend rund um Kassel ist ideal dafür.


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